Kompression
Von der Stimme im Radio bis zu wolkigen Synthesizer-Flächen, von der zart gezupften Akustikgitarre einer Pop-Ballade bis zur wuchtigen Symphonie – früher oder später erfährt fast jedes Audiosignal im Prozess der Produktion, des Abmischens oder des Mastering eine Form der Audio-Kompression. Der Klang eines komprimierten Audiosignals ist damit derart omnipräsent, dass eher unkomprimierte Audiosignale eine Ausnahme bilden.
Auch wenn bereits 1936 ein dynamischer Kompressor der Firma Telefunken mit dem Namen „U3“ bei den Olympischen Spielen in Berlin als Dynamik-Kontrollelement der von Telefunken für die Sportspiele entwickelten Lautsprecheranlage zum Einsatz gekommen sein soll, so gilt der „Western Electric Program Amplifier 110A“ als einer der ersten kommerziellen dynamischen Kompressoren auf dem Markt. Dieser entstand aus der Zusammenarbeit zwischen dem US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen Western Electric und der Forschungsabteilung von AT&T, den Bell Telephone Laboratories. Der „Western Electric Program Amplifier 110A“ diente zum einen zur Verstärkung von schwachen Radiosignalen und zum anderen zur Kontrolle vor starken Frequenzmodulationen, die bei der Übertragung auftreten und zu unerwünschten Verzerrungen führen können.
Erst ab den 1960er-Jahren wurden Kompressoren gezielt für die Musikproduktion designt und hergestellt. Ein Name, der mit dieser Geschichte eng verknüpft ist, ist Bill Putnam, Gründer von Universal Audio und UREI. Neben Mischpulten und Equalizern wird die Entwicklung der legendären Kompressor-Modelle „UA 176“ und „UREI 1176“ Putnam zugeschrieben. Vor allem durch den Einzug digitaler Technologien in den 1980er-Jahren wurden die Potentiale der Kompression zusehends ausgeschöpft. Dies resultierte letztlich in dem sogenannten „Loudness War“, einer als problematisch erachteten Zunahme der Lautheit von Musikproduktionen, die sich in weit in gesellschaftliche Prozesse auswirkte. Frei nach dem Motto: Je lauter, desto erfolgreicher. Damit einher gingen u.a. der Verlust von Dynamik sowie der Kampf um Aufmerksamkeit in diversen hörmedialen Kontexten (Radio-Playlists, Werbung, DJ-Sets, etc.) durch eine übersteigerte Lautheit. Beispielhaft für diese Entwicklung stehen die Alben „Black Album“ (Vertigo 1991) und „Death Magnetic“ (Warner/Universal 2008) von Metallica und „Californication“ (Warner 1999) von den Red Hot Chili Peppers. Demgegenüber lässt sich mittlerweile die These vertreten, dass der „Loudness War“ durch Musikstreamingdienste zu seinem Ende gekommen ist. Denn wie auf der Website von Spotify for Artists beschrieben, kommen beim Musikstreaming Kompressoren zum Einsatz, die die Dynamikunterschiede zwischen lauten und leisen Songs ausbalancieren sollen, damit sich so eine störungsfreie und gleichmäßige Hörerfahrung einstellen kann.
Funktionsweise
In der Audiosignaltechnik gehören Kompressoren in die Gruppe der Dynamikprozessoren und dienen der Beeinflussung der Dynamik eines oder mehrerer Audiosignale. Vereinfacht ausgedrückt sind Kompressoren automatisierte Lautstärkeregler. Ziel der Kompression ist es i. d. R., den Dynamikumfang zu reduzieren. Die gängigen Parameter, die sich am Kompressor einstellen lassen und damit in den Dynamikverlauf des Signals eingreifen, sind: Threshold, Ratio, Attack, Release und Gain/Makeup-Gain. An diesen lässt sich zudem die Wirkungsweise des Kompressors erläutern.
- Threshold: Der Schwellenwert (engl. threshold) gibt an, ab welchem Pegelwert der Kompressor zu arbeiten beginnen soll. Anders formuliert: Das Eingangssignal triggert den Kompressor beim Überschreiten des Threshold.
- Ratio: Die Ratio gibt das Kompressionsverhältnis an, um welchen Grad der Pegel beim Überschreiten des Threshold reduziert werden soll. Eine Faustregel besagt, dass bei einer Ratio von 2:1, das Ausgangssignal nur um 1 dB steigt, wenn das Ausgangssignal 2 dB über den Threshold steigt. Steigt es 4 dB über den Threshold, wird das Ausgangssignal auf 2 dB komprimiert u. s. w.
- Attack: Nachdem der Kompressor getriggert wurde, sprich der Pegel des Eingangssignals den Threshold überschreitet, bearbeitet der Kompressor den Dynamikverlauf auch auf einer zeitlichen Achse. Attack beschreibt hierbei die meist im Millisekunden-Bereich liegende Zeit, die der Kompressor benötigt, um nach dem Überschreiten des Threshold das Ausgangssignal auf den Zielpegel zu reduzieren.
- Release: Demgegenüber meint Release eben jene Zeit, die der Kompressor nach dem Unterschreiten des Threshold benötigt, um das Ausgangssignal wieder auf den unreduzierten und unkomprimierten Pegel zu führen.
- Gain: Bei der Kompression kommt es in erster Linie zu einer Reduktion des Pegels sowie einer Reduktion des Dynamikumfangs und damit zu einer Reduktion der wahrnehmbaren Lautstärke. Damit das Ausgangssignal wieder auf das ähnliche Lautstärke-Niveau des unbearbeiteten Eingangssignal gehoben werden kann, lässt sich mithilfe des Gain oder Makeup-Gain Reglers das komprimierte Ausgangssignal verstärken. Bei „korrekter“ Verwendung des Kompressors erhöht sich so die wahrgenommene Lautheit bei gleichbleibendem Pegel.
Sidechain-Kompression
Allgemein versteht man unter Sidechaining eine Produktionstechnik, bei der ein Audiosignal durch ein zweites Audiosignal mithilfe eines Effektes beeinflusst wird. Die heute am weitesten verbreitete Form des Sidechain-Effekts ist die Sidechain-Kompression. Der Effekt kann auf den Sound Designer und Filmtontechniker Douglas Shearer zurückgeführt werden, der den Begriff und das Prinzip schon in den 1930er-Jahren bei Filmproduktionen erfolgreich zum Einsatz brachte. Er hat bewirkt, dass sobald ein Audiosignal einsetzt, ein anderes bereits erklingendes Audiosignal im Pegel abgesenkt wird. Es taucht förmlich ab. So lassen sich bspw. Stimmen und Hintergrundgeräusche beim Filmton automatisch isolieren. Sobald eine Stimme erklingt, werden die Hintergrundgeräusche reduziert und damit Platz für das Gesagte geschaffen. Ein ähnliches Prinzip lässt sich auch bei Radioproduktionen finden, bei denen, sobald die Radiomoderatorin oder der Radiomoderator das Wort ergreift, die Musik automatisch leiser wird.
Beim gezielten Einsatz der Sidechain-Kompression in der Musikproduktion wird der Kompressor, welcher als Effekt auf einem Kanal und Audiosignal liegt, durch ein zweites Audiosignal getriggert. So lässt sich bspw. eine breite und frequenzreiche Synthesizer-Fläche durch einen Kickdrum-Sound bearbeiten. Liegt auf der Synthesizer-Fläche ein Kompressor im Sidechain-Modus vor, so kann dieser durch die Kickdrum getriggert werden. Dies führt dazu, dass bei jedem Erklingen der Kickdrum der Kompressor zu arbeiten beginnt, was zu einer kurzfristigen Pegelreduktion der Synthesizer-Fläche resultiert. Ziel ist es dabei, der Kickdrum Raum und Platz im Mix einzuräumen und einen pulsierenden Sound zu kreieren. Die Sidechain-Kompression ist vor allem in einigen Genres der elektronischen Tanzmusik zum Stilmittel geworden. Doch auch in anderen Genres lässt sich der Effekt ausmachen. Beispielhaft dafür stehen „Life Round Here“ von James Blake (Polydor 2013) und „Titanium (feat Sia)" von David Guetta (Virgin 2012).
Lautheit
Der Begriff Lautheit beschreibt eine Messgröße für die subjektiv empfundene Lautstärke eines Schallereignisses. Diese psychoakustische Maßeinheit dient zur proportionalen Abbildung des menschlichen Lautstärkeempfindens und wird mit der Einheit Sone angegeben. 1936 schlägt der US-amerikanische Experimentalpsychologe in „A scale for the measurement of the psychological magnitude: loudness“ vor, dem Lautstärkepegel von 40 phon, also die Lautstärke eines Sinustons mit der Frequenz 1000 Hz und einem Schalldruckpegel von 40 dB, die Lautheit 1 sone zuzuordnen. Die Einheit wird bis heute als Standard durch die ISO 532 definiert.
Lautheit ist also standardisierte Einheit im Bereich der menschlichen Wahrnehmung. Dezibel hingegen meint eine materielle Quantität.
Die Lautheit oder Loudness spielt eine entscheidende Rolle bei der Musikproduktion. Mit der Verbreitung Rock’n’Roll-Kultur, der Schallplatte, der Jukebox und der Etablierung von Playlisten im Heavy-Rotation-Format steigt das Begehren nach Lautheit in der Musikproduktion. Unter dem Banner des „hot mastering“, gemeint sind damit Praktiken und Techniken der Musikproduktion, die durch Missachtung damals bestehender Plattenschnitt- und wiedergabestandards zu einem lauten, nahezu verzerrten Klang bei der Wiedergabe von Platten geführt haben, wird in den 1950er-Jahren eine Erhöhung der Lautheit vorgenommen, um die Aufmerksamkeit der Hörenden zu erlangen und aus den Jukebox- und Radioplaylisten hervorzustechen. Ein weiterer Anstieg der Lautheit vollzieht sich mit der Einführung digitaler Aufnahme- und Wiedergabetechnik. Dies resultierte letztlich in dem sogenannten „Loudness War“, einer als problematisch erachteten Zunahme der Lautheit von Musikproduktionen, die sich in weit in gesellschaftliche Prozesse auswirkte.
Solchen Loudness-Gefechten wird regelmäßig mit erneuerten Standards, Gesetzen und Messverfahren entgegengewirkt. Mittlerweile wird die Berechnung des Pegels und der Lautheit durch die Norm BS1770-4 der International Telecommunication Union (ITU) oder der EBU R 128 der European Broadcasting Union (EBU) in sogenannten LUFS, „Loudness Units relative to Full Scale“ geregelt. Lautheitsmessung in dB LUFS nach der ITU- oder EBU-Norm bietet sich vor allem für Musikstreamingdienste an, denn Lautheit ist hier das Ergebnis eines algorithmischen Prozesses, der die Lautheit aus einem Datensatz physiologischer, psychoakustischer und statistischer Daten ermittelt. Eine Anpassung der gestreamten Inhalte, sei es Musik oder Podcast, sichert somit eine normalisierte und homogene Hörerfahrung durch Playlisten.
- Brockhaus, Immanuel. "Was heißt schon neu? Moderne Effektsounds in populärer Musik - Tape Slow-Down, Stutter und Sidechain Compression als Teil aktueller Produktionsästhetik". In Dietmar Elflein, Aneignungsformen populärer Musik: Klänge, Netzwerke, Geschichte(n) und wildes Leben, Bielefeld: Transcript 2017, S. 239–264.
- Hodgson, Jay. Understanding Records. A Field Guide to Recording Practice. New York: Continuum 2019.