Granularsynthese
Das Prinzip der Granularsynthese ist relativ schnell erklärt. Ein Audiosignal, meistens ein Sample, wird in eine Vielzahl akustischer Impulse, sogenannte Grains zerlegt und zu neuen Klängen, Klangfarben und Texturen zusammengefügt. Dabei können die Grains in unterschiedlicher Weise neu arrangiert werden. Sie können fließend ineinander übergehen, zeitlich versetzt auftreten, von vorn nach hinten reorganisiert, gedehnt oder gestaucht werden. Den Grains kann eine eigene Hüllkurve zugewiesen werden, um den einzelnen Grains einen neuen Zeitverlauf, eine „Form“ zu geben. Die Anordnung der Grains ist ein entscheidender Faktor. Belässt man die Grains in der ursprünglichen Reihenfolge und lässt auch alle anderen Parameter unberührt, so setzt man das Originalsignal einfach wieder zusammen analog zu einem Puzzle. Doch gerade durch das Reorganisieren der Grains und Verfremden der Zeitverläufe entstehen neue klangliche Ereignisse. Das neu zusammengesetzte Signal durchläuft dann, wie auch bei den anderen Syntheseformen üblich, Filter und Verstärker und kann durch LFOs, Hüllkurven oder anderen Modulationsquellen moduliert werden und wird so weiterbearbeitet.
Die theoretischen Grundlagen der Granularsynthese werden oftmals auf den Physiker und Ingenieur Dennis Gábor und seine Schriften „Theory of Communication“ (1946) und „Acoustical Quanta and the Theory of Hearing“ (1947) zurückgeführt. Es ist vor allem dem Komponisten Iannis Xenakis zu verdanken, dass die Theorie und Ideen Gábors schon früh in musikalische Kontexte eingebettet wurden. „Analogique A-B“ von 1958/1959 gilt als erstes musikalisches Werk, das sich dem Konzept der Granulierung und Fragmentierung von Audiomaterial angenommen hat. Xenakis hat dafür ein Tonband in hunderte kleine Stücke geschnitten und neu arrangiert. Das Resultat ist eine zusammenhängende musikalische Form aus Glitches und klanglichen Fragmenten. Weiter vorangetrieben wurde die Granularsynthese durch die experimentelle Erforschung ihrer Potentiale durch Künstler wie u.a. Curtis Roads, Barry Truax und Paul Lansky. Erst durch verbesserte Rechenleistung in Computer-gestützten Systemen wurde die Granularsynthese auch für eine breite Masse praktisch anwendbar. Denn man bedenke die schiere Datenmenge, die bei der Erzeugung granularer Sounds verarbeitet werden muss. Das Originalsignal wird in 1000+ Impulse zerlegt, die obendrein in ihrer Amplitude, Frequenz und Zeitdauer bearbeitet werden soll. Eine Bearbeitung in Echtzeit bedarf dementsprechend leistungsfähige Computer. Derzeit erfreut sich die Granularsynthese großer Beliebtheit in den diversen Spielarten elektronischer Popmusik. Vor allem in den Produktionen des australischen Produzenten und DJ Flume finden sich zahlreiche granulare Sounds, gut zu hören in den Songs „The Difference“ (Future Classic 2020) und „Go“ (Transgressive Records 2022).
- Ruschkowski, André. Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen. Ditzingen: Reclam 1998.
- “DROWN THE TRAITOR WITHIN” – Lorn (Wednesday Sound 2019)
- “MUD” – Flume (2019 Future Classic 2019)
- “Mutant” – SHARPS, Moore Kismet (Never Say Die Records 2019)
- “Flow Through Me” – Ekali (Big Beat Records/Atlantic Records 2020)
- “Grounded” – KOAN Sound, Javeon (Shoshin 2020)
- “Agave” – Sola (Phuture Collective 2021)
- “Dream Extinction” – Alexander Panos (n/a 2022)
- “A Model Of Reality” – Max Cooper (Manners McDade Music/Mesh 2022)
- “A Taste of Hope (Odd Mob Remix)” – Odd Mob, IMANU (UKF 2022)