Universität Bonn

Sound Design in digitalen Umwelten

DAW - Digital Audio Workstation

DAW ist die Abkürzung für „digital audio workstation“. Spätestens seit den 1990er-Jahren bilden DAWs die technische und ästhetische Grundlage für produzierte Musik. DAW ist eine allgemeine Bezeichnung und Kategorie für eine Software, die ursprünglich nur zur Audiobearbeitung gedacht war, mittlerweile aber vielfältige Funktionen wie das Sequenzieren, Aufnehmen, Mixing, Mastering, Experimentieren, Gestalten und Produzieren von Musik und Klang übernimmt. Einige DAWs sind zudem für den Einsatz auf der Bühne geeignet, um Produktionen aus dem Studio performativ und reproduzierbar zu machen. Ob im Bereich des Sounddesign im Film, der Gestaltung einzelner software-basierter Instrumentenklänge, der Einspielung, Aufnahme und Produktion von Sinfonien oder Opern – das Herzstück dieser kreativen, technischen Arbeit stellt in vielen Fällen die DAW dar. 

Als eine der ersten, wenn nicht die erste DAW gilt der „Digital Tape Recorder“ (DTR) der Firma Soundstream aus dem Jahr 1977. Dieser Computer ermöglicht erste digitale 16-Bit-Aufnahmen auf vier Spuren. Das Gerät ist Computer und Aufnahmegerät in einem, vereint Hard- und Software zur Audioaufnahme, -speicherung und -bearbeitung. Auch gilt der Fairlight CMI aus dem Jahr 1979, eigentlich ein Sample-basierter digitaler Synthesizer, als eine der ersten DAW. Der Synthesizer verbindet neben der obligatorischen Klaviatur eben auch einen Computer, einen Monitor und eine Tastatur miteinander. Das ganze System wird durch die Software QDOS gesteuert. Vor allem der graphische Pattern-Sequenzer des Instruments gilt als wegweisend für die Entwicklung von virtueller Studio-Software. 

1984/1985 veröffentlicht die Firma Digidesign die Software „Sound Designer“, die das Editieren von Samples für Sample-basierte Drum-Machines (ursprünglich für den „E-mu Drumulator“) vereinfachen sollte. Nach eigenen Aussagen der Gründer von Digidesign bot sich im Jahr 1987 jedoch die Möglichkeit, Neuerungen in der Computertechnik (schnellere Chips und Festplatten, mehr Speicherplatz, etc.) und ihre Erfahrungen im Bereich der digitalen Editierung und Erstellung von Samples zusammenzuführen und ein „direct-to-disk recording system“ zu entwickeln. Das in Zusammenarbeit mit Apple Macintosh entwickelte „Sound Tools“ wird 1989 auf der NAMM präsentiert. Anfänglich nur mit zwei Aufnahmespuren ausgestattet entwickelt sich „Sound Tools“ innerhalb von nur zwei Jahren weiter und geht nun als „Pro Tools“ an den Markt.

Anfang der 1990er-Jahre differenziert sich der DAW-Markt durch schnellere, effektivere und günstigere Computertechnik weiter aus. In Hamburg formiert sich im Jahr 1992 die Firma Emagic Soft- und Hardware GmbH, die im Folgejahr „Notator Logic“ (später nur „Logic“) für den Atari ST und Mac herausbringen. Die Software wird anfänglich auch für Windows angeboten, dies ändert sich jedoch kurz nach der Übernahme von Emagic von Apple im Jahr 2002. Seitdem wird „Logic Pro“ als hauseigene DAW von Apple vermarktet. Im Bereich der elektronischen Musik erfreut sich die DAW „Live“ der Berliner Firma Ableton seit Anfang der 2000er-Jahre großer Beliebtheit und verbreitet sich zunehmend auch in anderen Genres. Im Gegensatz zu anderen DAWs ist „Live“ neben der üblichen Studioanwendung auch auf Live- und Bühnensituationen optimiert. DAWs wie „Live“ von Ableton bringen damit das Studio auf die Bühne und bieten diverse performative Funktionen an, um DAWs als eigenständiges Instrument zu betrachten oder eben Musikproduktionspraktiken als Live- und Bühnenperformance zu begreifen. 

1996 setzt die Firma Steinberg Soft- und Hardware GmbH einen Meilenstein in der computergestützten Musikproduktion. Mit ihrer DAW „Cubase“ macht Steinberg bereits einige Jahre auf sich aufmerksam, doch die Firma setzt mit ihrer Programmierschnittstelle „Virtual Studio Technology“ (VST) einen wichtigen Industriestandard. VST ermöglicht es Drittanbietern, Instrumente und Effekte zu entwickeln, die über die VST-Schnittstelle dann Zugang zur DAW erhalten. Anders formuliert: VST ermöglicht einen Dialog zwischen VST-Host und den virtuellen Instrumenten und Effekten, wodurch sich letztere in der DAW betreiben lassen. Die von Steinberg entwickelte Schnittstelle bildet bis heute einen Industriestandard, wenn es um die Einbindung von virtuellen Effekten und virtuellen Instrumenten in eine digitale Musikproduktionsumgebung geht.

Remediatisierung

Die Fluchtlinien verschiedener historischer Audiotechnologien und -praktiken führen letztlich in die verschiedenen DAWs, weshalb sich DAWs als geeignete Plattform zur Untersuchung von Prozessen der Remediatisierung anbieten. Jay David Bolter und Richard Grusin haben in ihrer einflussreichen, mediensoziologischen Studie „Remediation. Understanding New Media“ aus dem Jahr 1999 den Begriff der Remediatisierung (eng. remediation) geprägt. Unter Remediatisierung verstehen die Autoren eine intermediale Beziehung, bei der ein Medium durch ein anderes Medium repräsentiert wird. So verschwinden „vergangene“ Medien nicht einfach, sie gehen in neue Medien über. Das neue Medium gestaltet das alte Medium damit meistens auch um, weshalb die Idee der Remediatisierung in vielen Fällen eine Fortschrittsideologie verfolgt. Da Remediatisierungsprozesse und -verhältnisse den Autoren zufolge in jedem Medium vermutet werden, so gilt es eben jene Verstrickungen und Übergänge zwischen einzelnen Medienformen, -operationen, -praktiken und/oder -technologien mithilfe des Begriffs herauszustellen. Mithilfe einer Untersuchung von Prozessen der Remediatisierung lassen sich also tiefe Einblicke in die Geschichte und das Funktionieren von DAWs gewinnen. Im Folgenden soll darauf eingegangen werden.

Der Idee der Remediatisierung folgend ließe sich sagen, dass das virtuelle Studio die Funktionen und klanglichen Qualitäten von u.a. Mischpulten, Effektgeräten, Instrumenten und Aufnahmemedien wie dem Tonband annimmt. So wird in DAWs u.a. der analoge Tonbandschnitt digital neu in Szene gesetzt. Das digital aufgenommene Material ist in Software-Umgebungen nun nicht mehr auf dem analogen Band gespeichert und muss auf Selbigem editiert werden, sondern liegt als gespeicherter Datensatz vor. Die visuelle Repräsentation dieser gespeicherten Audiodaten wird in der DAW zumeist in bandartiger Form umgesetzt und der Maus-Cursor erhält, sobald er als Editier- und Schneidewerkzeug aktiviert wird, die Form und Funktion einer Schere. Das „Schneiden“ und „Cutten“ von Audiomaterial bleibt auch in digitalen Studio-Umgebungen in Funktion und Visualität erhalten. Doch ergeben sich durch den digitalen Schnitt neue Möglichkeiten der Bearbeitung. Das „digitale Tonband“ kann verlustfrei vervielfältigt, geschnitten, gelöscht, wieder abgerufen, in kleinste Teile zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. Das Original kann von derlei drastischen Eingriffen jedoch unberührt bleiben.

Eine weiteres historisches Medium, das in Funktion und Visualität in der DAW wieder aufgegriffen wird, ist die Klavierrolle, englisch Pianoroll. Für einen Überblick zu Klavierrollen empfiehlt sich ein Blick in das Thema Sequenzer, Pianoroll, MIDI auf diesen Seiten sowie in das Forschungsprojekt „Synkopierte Moderne. Zur Konzeption von Klang als temporalisierte Entität, 1890-1930“. Das historische Konzept zur Sequenzierung von Musikdaten in der Pianoroll wird in den DAWs remediatisiert. Der Pianorollen-Editor gehört zu einer der wichtigsten Arbeitsoberflächen in einer DAW. In dem auch kurz Pianorolle genannten Editor werden MIDI-Daten erzeugt und bearbeitet, womit sich sowohl Software- als auch Hardware-Instrumente steuern lassen. Den meisten Pianorollen-Editoren ist gemeinsam, dass sich Pitch-, Velocity- und Tondauer-Werte eintragen und bearbeiten lassen. Die Editierfunktionen innerhalb der Pianorolle reichen jedoch von der üblichen Notensteuerung, über algorithmisch-randomisierte oder KI-informierte Sequenzen, der Steuerung von externen Instrumenten bis zur Steuerung sämtlicher Parameter von Software-Instrumenten.

Vor allem an der Visualisierung von Klang als Schallwelle finden sich Techniken der Phonographie in den DAWs remediatisiert. Die Wellenform ist die bevorzugte Visualisierungsform von Klang in den verschiedenen DAW-Ansichten. Samples und Audiofiles werden hier als Schwingungsform dargestellt. Klang wird hier auf eine Zweidimensionalität aus Amplitude und Zeit reduziert. Diese Form der Klangvisualisierung entspringt den Klangschriftverfahren des späten 19. Jahrhunderts. Der Phonautograph und Phonograph verzeichnen Klang auf dieselbe Art und Weise. Doch auch andere Visualisierungsformen von Klang finden sich in den DAWs remediatisiert. So bildet das Goniometer, Messinstrument zur Phasenlage im Stereobild, einen festen Bestandteil in den Utility- und Metering-PlugIns in diversen DAWs. Auch finden sich spektrale Ansichten des Audiomaterials sowohl als Messinstrument als auch zur Visualisierung des Audiomaterial in unterschiedlichen Equalizer-PlugIns wieder.

Auch finden sich Funktionen und Verschaltungslogiken von Mischpult-Technologien in den DAWs remediatisiert. Allein die DAW-übliche Anordnung des Audio- oder MIDI-Materials in Spuren, auch „tracks“ genannt, gleicht der Architektur eines Mischpultes. In beiden Fällen, DAW und Mischpult, finden sich pro Spur die mittlerweile zum Standard gehörenden Lautstärke-Fader, Panorama-Regler, Mute- und Solo-Buttons sowie Aux- und Effekt-Wege. Vor allem im Bereich des Signalroutings und dem Einschleifen von Audio-Effekten werden die Mischpultfunktionen durch die DAW nicht nur aufgegriffen, sondern erweitert. In den gängigen DAWs sind mit recht einfachen Mitteln komplexe Verschaltungen von einzelnen Spuren, Effekten und Effekt-Wegen möglich, die in analogen Zusammenhängen ein Vielfaches an monetären, räumlichen und zeitlichen Kapazitäten verbrauchen würden.

Darüber hinaus ist durch die oben erwähnte VST-Schnittstelle das Einbinden von virtuellen Effekten und Instrumenten von Drittanbietern möglich, wodurch sich auch sämtliche analoge Effekte und Instrumente digital simulieren lassen. Hier hat sich zudem eine Form des Fotorealismus etabliert, bei dem sowohl ikonisch gewordene Instrumente wie der „Minimoog“, der „Roland Juno 60“ oder auch der „Fairlight CMI“ als auch populäre Effekte wie das „Roland Re-201 Space Echo“, der „dbx 160 Kompressor“ oder der „Pultec EQP-1A“ das angestrebte Ziel analoger Klänge auch visuell inszeniert wird. Doch werden die meisten digitalen Simulationen dieser ikonischen, teilweise auratischen Geräte um weitere Features ergänzt (zusätzliche Parameter, Presets, Effekte, etc.), um sie so für digitale Musikproduktionsumgebungen anknüpfungsfähig und intuitiv bedienbar zu machen. Konsequenterweise hat sich daraus ein eigener Markt entwickelt, auf dem Firmen wie Universal Audio, Roland und Arturia agieren, die auf die digitale Simulation von musikkulturell und -historisch bedeutsamen Instrumenten und Effekten spezialisiert sind. Selbstverständlich gibt es auch gegenläufige Entwicklungen, die sich auditiv und visuell von den bekannten Architekturen von Instrumenten und Effekten abzugrenzen wissen. Zwar wird hier zum Teil auf Altbekanntes verwiesen, durch die vielfältigen Möglichkeiten im Digitalen wird jedoch auch ein hohes Maß an Innovation und Progressivität angestrebt. So bieten u.a. die mitgelieferten Instrumente und Effekte von „Live“, sogenannte Stock-PlugIns, stets die Möglichkeit an, über das Bekannte hinaus zu gehen. Auch liefern Hersteller virtueller Effekte und Instrumente wie Noise Engineering, Audio Damage oder Freakshow Industries immer wieder neue Ideen zur Gestaltung und Genese neuer Sounds. DAWs sind so gesehen nicht nur das Destillat einer über hundertjährigen Geschichte der aufgezeichneten und produzierten Musik, sondern auch Ausgangspunkt für ungehörte, klangliche Experimente.
 


  • Bell, Adam Patrick. Dawn of the DAW the Studio as Musical Instrument, New York: Oxford University Press 2018.
  • Bolter, Jay David, and Richard Grusin. Remediation Understanding New Media, Cambridge (MA): MIT Press 1999.
  • Brockhaus, Immanuel, Harenberg, Michael, & Sägesser, Marcel, „Schnittmuster in der Populären Musik“. In Immanuel Brockhaus & Bernhard Weber (Hrsg.), Inside The Cut: Digitale Schnitttechniken und Populäre Musik. Entwicklung-Wahrnehmung-Ästhetik, Bielefeld: Transcript 2010, S. 31–79.
  • Théberge, Paul. „The Network Studio: Historical and Technological Paths to a New Ideal in Music Making“. In Social Studies of Science 34 (5/2004), S. 759-781.

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